Eine tüte Pommes Frites

Acrylamid, ein Dauerbrenner in der Lebensmitteluntersuchung und –überwachung

Bei Acrylamid handelt es sich um eine Verbindung, die als Industriechemikalie bekannt und durch eine Anlagerung an Hämoglobin erstmals 1993 im biologischen System nachgewiesen wurde [1]. Die hiermit verbundene Gefährdung ergibt sich aus Mechanismen, die für eine Krebsbildung typisch sind. Die International Agency for Research on Cancer stuft Acrylamid deshalb als wahrscheinlich krebserregend ein.

1997 wurde bei Tunnelarbeiten in Schweden ein acrylamid-haltiges Chemikaliengemisch eingesetzt, welches eine Abdichtung gegen Wassereinbrüche bewirken sollte. Nach dem Einsatz wurden bei den Arbeitern verschiedene Symptome beobachtet, die auf eine Exposition mit Acrylamid schließen ließen. Bei diesen Arbeitern wurde ein mittlerer Gehalt von 0,24 nmol (Nanomol) Acrylamidaddukten/Gramm Hämoglobin festgestellt, die höchsten Gehalte wurden sogar mit 4 nmol/g detektiert. Überraschenderweise ließ sich auch bei der Kontrollgruppe eine Hintergrundkonzentration von 0,04 nmol Acrylamidaddukten/Gramm Hämoglobin feststellen.

Chemische Formel Acryamid

Im Jahre 2000 präsentierten Törnquist und ihr Team ihre Theorie, wie es zu diesem unerwarteten Ergebnis bei einer offensichtlich nicht den Tunnelchemikalien ausgesetzten Probandengruppe gekommen war [2]. Demnach wird Acrylamid aus der Nahrung aufgenommen. Bei der Eingrenzung der infrage kommenden Lebensmittel wurden frittierte und gebackene Kartoffel-, Getreide- und Kaffeeprodukte identifiziert [3].

Diesen Lebensmittelgruppen ist eine hohe Zufuhr an Wärmeenergie bei geringem Wassergehalt während der Herstellung gemein. Dies sind typische Bedingungen für den Ablauf der sog. Maillard-Reaktion (nichtenzymatisch Bräunung). Experimentell konnte in weiteren Arbeiten bestätigt werden, dass sich aus der Aminosäure Asparagin und reduzierenden Zuckern unter der Hitzeeinwirkung bei der Lebensmittelproduktion Acrylamid bildet [4].

In den folgenden Jahren wurde zahlreiche in Frage kommenden Lebensmittelgruppen untersucht und ein Minimierungskonzept entwickelt, um durch optimierte Lebensmitteltechnologien –bzw.- Herstellungsverfahren die Gehalte auf einen technisch realisierbaren minimalen Gehalt zu beschränken. Dieses System der nationalen Richt- und Signalwerte erlaubte unter anderem, die durchschnittlichen Acrylamidgehalte und damit die Aufnahme durch den Konsumenten deutlich zu senken. Praktische Auswirkungen waren unter anderem auch die Bevorzugung von Kartoffelsorten mit geringerem Asparagingehalt für Zubereitungen mit hoher Wärmezufuhr und die Beschränkung der maximal einstellbaren Fritteuse-Temperatur auf 170 Grad Celcius. Auch wurde ein Farbcodesystem für beispielsweise Pommes Frites entwickelt, welches den zu erwartenden Acrylamidgehalt mit einer Farbvertiefung der Produkte von gelblich nach braun korreliert.

Seit April 2018 gilt die Verordnung Nummer. 2017/2158/EU, die Richtwerte auf europäischer Basis und bindende Reduktionsmaßnahmen für Lebensmittelunternehmen mit einer entsprechenden Nachweispflicht enthält [5].

Ergebnisse

Im Zuge der risikoorientierten Probenahme von Juni 2021 bis Juni 2022 wurden im Landesbetrieb Hessisches Landeslabor (LHL) 233 Lebensmittelproben auf Acrylamid untersucht. Analysiert wurden folgende Warengruppen:

  • 16, zum Beispiel (z.B.) Frühstückscerealien
  • 17, z.B. Knäckebrot
  • 18,  z.B. Feine Backwaren wie Kekse, Zimtsterne und Spekulatius
  • 24, z.B. Kartoffelprodukte wie Pommes Frites und Kroketten
  • 26, z.B. Gemüseprodukte wie Gemüse- und, auch Süßkartoffelchips und Oliven
  • 46, z.B. Kaffee- und Kaffeeersatzpulver

(siehe Tabelle 1.)

Die erhaltenen Ergebnisse wurden mit den Richtwerten aus der Verordnung Nummer 2017/2158/EU [5] korreliert, dabei ergaben sich fünf Überschreitungen. Eine Sonderstellung nehmen die gefundenen Gehalte in Gemüseprodukten und Oliven ein. In der oben genannten Verordnung findet sich bisher noch kein Richtwert für diese Warengruppe, da das Vorhandensein von Acrylamid in diesen Produkten ein neueres Resultat darstellt und wahrscheinlich auf einem modifizierten Bildungsmechanismus beruht. Diese Resultate wurden deshalb unter den Vorgaben des ALARA-Prinzipes („As Low As Reasonably Achievable“, „So wenig wie mit vertretbarem Aufwand möglich“) bewertet.

Tabelle 1: Messwerte Acrylamid bezogen auf Warengruppen (WG)

 

WG 16

WG 17

WG 18

WG 24

WG 26

WG 46

Gehalte in µGramm/Kilogramm

Anzahl

Anzahl

Anzahl

Anzahl

Anzahl

Anzahl

0-50

13

1

38

7

13

9

50-100

6

5

15

7

2

4

100-150

3

6

4

13

2

4

150-200

2

9

3

9

 

4

200-250

 

4

6

5

 

1

250-350

 

2

2

     

350-400

     

2

3

1

400-500

         

1

500-750

   

3

2

1

3

750-1000

       

3

8

1000-1500

     

3

3

2

1500-2000

       

3

 

Maximalgehalt in µGramm/Kilogramm

200

284

628

1082

1636

1072

Summe Proben

24

27

71

48

30

37

Richtwertüberschreitungen*

0

0

0

5

**

0

*gem. Anhang IV Verordnung Nr. 2017/2158/EU

** keine Richtwerte vorhanden

Fazit

Acrylamid wird als Kontaminant in zahlreichen wärmeinduzierten Prozessen bei der Herstellung von Lebensmitteln gebildet. Im Fokus steht hier die sogenannte Maillardreaktion, welche auch Nicht-enzymatische Bräunung genannt wird. Hohe Prozesstemperaturen, geringer Wassergehalt und das Vorhandensein von Vorläuferverbindungen wie Asparagin können bei herkömmlicher Lebensmittelzubereitung zu gesundheitlich bedenklichen Gehalten in Lebensmitteln führen, bieten aber durch geeignete Auswahl auch die Möglichkeit einer Risikominimierung. Dieser Weg wird mit der Inkraftsetzung der oben bereits genannten VO Nr. 2017/2158/EU konsequent weiterverfolgt. Der LHL als Untersuchungseinrichtung begleitet diesen Weg durch risikoorientierte Probenahmen sowie mit Untersuchungen bei neu in den Fokus geratenen Lebensmittelmatrices wie Oliven und Gemüseprodukten. 

Stand Juni 2022

Literatur
[1] Bergmark, E., Calleman, C.J., He, F., and Costa, L.G. (1993) Determination of hemoglobin adducts in humans occupationally exposed to acrylamide. Toxicol. Appl. Pharmacol. 120, 45-54.
[2] E. Tareke, P. Rydberg, P. Karlsson, S. Eriksson, and M. Törnquist (2000) Acrylamide: A Cooking Carcinogen? Chem. Res. Toxicol. 13, 517-522
[3] Tareke,E., Rydberg,P., Karlsson,P., Eriksson,S., and Törnqvist,M. (2002) Acrylamide: A carcinogenic compound formed during heating of foodstuffs. J.Agric.Food.Chem. 50(17):4998-5006
[4] Stadler, R.H. et al. (2002) Acrylamide from Maillard reaction products.Nature,419,449.
[5] VERORDNUNG (EU) 2017/2158 DER KOMMISSION vom 20. November 2017 zur Festlegung von Minimierungsmaßnahmen und Richtwerten für die Senkung des Acrylamidgehalts in Lebensmitteln (ABl. Nr. L 304 S. 24)